Der erloschene Kristall
In den Tiefen des
Meeres lebte eine Fee. Sie hatte sich in das smaragdgrüne Reich
zurückgezogen, weil auf der Welt niemand mehr Verwendung für ihre
Fähigkeiten hatte. In früheren Zeiten waren die Menschen, die Trost und
Rat suchten, zu ihr an die Quelle des Lilienteiches gekommen, um ihre
Hilfe in Anspruch zu nehmen. In diesem Teich war ein großer Kristall
eingebettet, der mit seiner strahlenden Energie das Herz der Menschen
erwärmte, so daß sie die Elfen wahrnehmen konnten und mit ihnen in
Harmonie lebten. Damals war es ganz natürlich, dass Menschen und Feen
sich untereinander austauschten und sich in Fragen des Lebens
gegenseitig halfen. Aber das war lange her.
Inzwischen waren die
Menschen so sehr damit beschäftigt, Häuser zu bauen, zu arbeiten und
Geld anzuhäufen, dass sie immer weniger Zeit fanden die Elfen und den
Kristall zu besuchen und so kam es, dass der Kristall sich immer mehr
verdüsterte, bis er schließlich erlosch und somit die Menschen die Gabe
der Wahrnehmung verloren hatten.
Nur Tiere und Kinder
kamen noch zu den Elfen und selbst diese Begegnungen waren immer
seltener geworden. Also zog sich Racine, so heißt unsere kleine Fee, in
das Wasser zurück, wo sie in der Gesellschaft von Fischen und
Meernymphen eine neue Heimat fand. EIN Kind jedoch war sehr traurig
darüber, dass seine geliebte Elfe nicht mehr im Teich wohnte. Es war
sein Lieblingsplatz im Wald gewesen dort auf der Lichtung wo früh
morgens im Nebel ein Heer von Tautropfen auf den Gräsern tanzte und die
Rehe des Waldes ihre Jungen säugten.
Wie oft hatte er sich
nachts aus der Hütte geschlichen, um dabei zu sein.
Ein kleiner Fuchs ,
den er aus einer Falle gerettet hatte, war im zum Freund und
Weggefährten geworden. So durchstreiften sie gemeinsam die mondhelle
Nacht bis er beim Morgengrauen sich wieder zurückschlich, in seine
Kammer unter dem Dach, um kurz vor dem Aufstehen in einen tiefen Schlaf
zu fallen. Seine alte Großmutter wunderte sich jeden Morgen aufs Neue
wieviel Schlaf er brauchte. Das wird das Wachstum sein, sprach sie in
Gedanken zu ihrem Mann der bis zum Einbruch des Winters in den Bergen
lebte. Naja, auch das wird sich geben. Wenn Jan dann endlich beim
Frühstück saß, sein Brot dick mit Zuckerrübensirup bestrichen, und ein
großes Glas Milch dazu, war die Welt wieder in Ordnung. Aber heute
Morgen saß er nur abwesend und tief betrübt am Tisch, starrte nur
stumpfsinnig vor sich hin, kein Lachen war in seinem Gesicht und er
konnte keinen Bissen essen. Was war geschehen? Seine Freundin vom Teich
war verschwunden, Ohne EIN Wort zu sagen. Er konnte nicht wissen ,dass
sie es nicht übers Herz gebracht hate ihm Lebewohl zu sagen, wel sie
schon im Voraus die ungeweinten Tränen sah, die in ihm aufstiegen. Ja,
so saß er am Küchentisch, den Kopf zwischen seinen Fäusten, verletzt und
trotzig zugleich, und er fühlte sich verlassen, wie niemals in seinem
Leben zuvor. Sein Fuchs Laila hatte ihm versprochen, sich umzuhören, wo
Racine hingegangen sein könnte, aber niemand schien etwas zu wissen, nur
dass sie sehr traurig darüber war, dass niemand mehr ihre Hilfe in
Anspruch genommen hatte. So war sie von Tag zu Tag einsamer geworden,
und hatte sich so verlassen gefühlt, dass sie schweren Herzens den
einzigen Freund, der ihr noch geblieben war, zurückgelassen hatte.
Da Glitzern der
Sterne im Teich hatte nicht mehr den selben Zauber wie zuvor, als das
Firmament wie ein seidenes Tuch im Wind sie beide, Jan und Racine,
eingehüllt hatte, wenn sie nachts auf der moosigen Erde unter dem
kleinen Felsen gesessen waren, nahe der Tränke für die Tiere des Waldes,
geschützt vor Wind und Regen. Wie oft hatten sie von der Zukunft
gesprochen, obwohl Racine von Anfang an gewußt hatte, dass sie Jan immer
nu eine Freundin sein könnte, denn die Menschen würden es nicht
verstehen, wenn ein Menschenkind mit einer Elfe leben würde. Wie oft
hatte der kleine Fuchs zu seinen Füßen gesessen, mit einer Pfote im
Wasser gespielt und die Sterne auf der Oberfläche zum Tanzen gebracht –
bis gestern.
Der Wasserspiegel lag
schwer wie Blei und unbeweglcih, der Mond war umschattet von Wolken,
Vorzeichen eines drohenden Unheils, der Wald schien erstarrt.
Geisterhaft ragten die einst vertrauten Bäume wie Gerippe in den Himmel
empor, die Weiden wiegten wie in Trauer ihre spinnwebhaften Zweige und
flüsterten untereinander, als ob sie Angst hätten, die Lichtung würde
nie wieder aus ihrer Erstarrtheit erwachen. So hatte Jan gestern Abend
die lichtung vorgefunden, Selbst die Glühwürmchen, die in dunklen
Nächten die Luft erhellt hatten, schienen verschwunden, der kleine Teich
lag wie verzaubert, als müsse er erst wieder erlöst werden aus seiner
Betrübtheit. Die Lilien ließen die Köpfe ihrer Blüten hängen, wie in
stille Trauer gehüllt, die Tautropfen konnten sich nicht an den Gräsern
festhalten, weil sie sich gramgebäugt zur Erde geneigt hatten, die Tiere
lagen unbeweglich, wie erforen im Gras. Jan saß wie versteinert unter
dem Felsenvorsprung, dei Arme um die angezogenen Beine geschlungen, sein
Kopf lag vom Weinen erschöpft auf seinen Knien, er schaute durch die
tränennassen Augen nach links, der Platz neben sich schien ihm
geisterhaft leer. Würde es jemals wieder sein wie früher, Sie und Er und
ihr kleiner Spielkamerad der sich um seine Füße schmiegte als wolle er
ihm Trost spenden. Eins seiner Ohren war umgeknickt als wolle er eine
besondere Wachsamkeit damit ausdrücen und ab und zu ließ er einen tiefen
mitfühlenden Seufzer hören.
Ein Kälteschauer
durchfuhr Jan, oder war es nur ein Kribbeln, was sich da über seinen
Nacken schlich? Es war ein Glühwürmchen, das ihn unsanft am Ohr zupfte „
He, du da! Ja, du!“ Jan hob erstaunt den Kopf, ach,es war sicher nur
Einbildung, nach einem schweren Aufatmen ließ er den Kopf wieder sinken.
„Nicht einschlafen! Ich bringe Nachricht von Racine.“ Jan schreckte
abermals hoch: War das möglich? Er traute seinen Augen nicht, das
Glühwürmchen tanzte direkt vor seiner sommersprossigen Nasenspitze. „Ich
soll dich zu ihr bringen, und hör endlich auf zu Heulen!“ rief sie
lauter als man es einem Glühwürmchenmädchen eigentlich zugetraut hätte.
„ Ich heul ja gar nicht!“ Jan zog trotzig dei Nase hoch und wischte sich
mit einem Hemdzipfel verstohlen die Tränen aus den Augen. „Ich komm ja
schon!“ auch der kleine Fuchs war aufgeschreckt und stand aufgeregt
neben Jan sein Kopf schmiegte scih in Jans Kniekehle als wolle er sagen
„wo du auch hingehst, ich bin bei dir.“ Und so brachen sie auf, die
Lichtung erwachte schlaftrunken aus ihrer Erstarrtheit und sie folgten
dem Glühwürmchen durch den Wald. Bald jedoch gesellten sich Freunde von
ihm zu ihnen, dass es aussah, als ob Jan durch einen Korridor aus Licht
gelotst würde, bis er endlich das offen Meer sah. In einer kleinen Bucht
machten sie Halt. Das Glühwürmchen zeigte auf eine kjleine Hügelkette
„Dort in der Felsenhöhle kannst du dich ausruhen, meine Freunde werden
dich begleiten, ich sage Racine, dass du hier bist.“ Und schon war es
seinen Blicken entschwunden. Sein kleiner Fuchs sprang aufgeregt vorne
her den Hügel hinauf, als hätte er jedes einzelne Wort verstanden. Die
Höhle war ähnlich dem Felsenvorsprung am Teich nur etwas größer, und als
die Glühwürmchen sich im Kreis niederließen, erblickte Jan ein Quelle
inmitten der Höhle und auf einmal tauchte Racine darin auf und flog Jan
direkt in die Arme „Schön dass du gekommen bist, ich muss dir so viel
erklären. Schau nur die Aussicht!“ Jan sah mit ihr über das Meer „Wie
unser Teich, nur viel größer!“ rief er erstaunt „Ja, und du kannst mich
immer besuchen kommen, wann immer du magst: tauche einfach dein Gesicht
dreimal hier in das Wasser und ehe du dich versiehst“,sie zeigte auf den
kleinen Teich inmitten der Höhle, „bin ich bei dir wie jetzt“ Sie legte
ihm einen Finger auf die Lippen „Das bleibt unser Geheimnis“ Die
Glühwürmchen kicherten leise vor sich hin, als sie sich in die Arme
nahmen „Und ihr hört auf euch so kindisch zu benehmen, habt ihr nichts
besseres zu tun? Husch, husch!“, wedelte Jan die glitzernde Meute aus
der Höhle hinaus. Er nahm Racines zarte Hände „Erklärs mir, warum bist
du ohne ein Wort zusagen gegangen?“ „Ich war so verletzt und enttäuscht
von den Menschen, ich wollte dir nicht auch noch wehtun. Weißt du“ , und
sie kuschelte sich in seine Arme „Früher kamen die Menschen zu mir und
fragten mich um Rat. Damals als sie noch mit der Naturl lebten, da saßen
die Menschen im Gars bei mir am Teich, die Kinder spielten mit den
Häschen, die Rehe ließen sich streicheln und dein Fuchs streifte durch
das Gras und spielte mit den feldmäusen. Alles war im Einklang mit der
Natur. Das Plätschern der Teiches verstärkte die friedvolle Atmosphäre
und der Kristall am Boden des Teiches, der noch aus dem alten Feenreich
stammt, starhlte seine Energie über die ganze Lichtung, so dass jder
wieder erholt und erfrischt nach ahuse ging. Damals tauschten Menschen
und Elfen noch Erfahrungen und Ratschläge aus, aber irgendwann, nachdem
der Kristall erloschen war, wurde die Energie immer niedriger und die
Menschen konnten uns Elfen nicht mehr wahrnehmen, nur noch deine
Großmutter, denn sie hat sichdas Herz eines Kindes bewahrt und sieht mit
den unverfälschten Sinnen des Kindes, so wie heute noch. Du hast in der
Stille des Waldes gelernt, deinen eigenen Wahrnehmungen zu vertrauen,
auh wenn alle anderen sie verloren hatten. Aber du bist der einzige, und
deshalb darfst du mich besuchen und bei mir sein, und immer wenn du
dein Gesicht in die Quelle tauchst, wird es sein, als sehe ich dich wie
in einem Fenster, und ich werde zu dir kommen. Weißt du, die Lebewesen
im Wasser, sie brauchen keine Kristalle um mich sehen zu können, man
könnte sagen“, schmunzelte sie „Wir haben die gleiche Wellenlänge, ja
hier fühle ich mich aufgehoben, fast so wohl wie in deinen Armen. Und
einmal im Jahr, wenn die Gestirne einen sechszackigen Stern, der Stern
der Engel, bilden, wird der Kristall im Teich für eine Nacht wieder
leuchten und ich werde bei euch sein, vom Sonnenuntergang bis zum
Sonnenaufgang. Sag es den Menschen, damit sie nicht vergessen, an diesem
Tag sollen sie sich erinnern, wie es einst war! Sie sollen Tanzen und
fröhlich sein! Sie werden kein Feuer brauchen, das Feuer des Kristalls
wird den Boden erwärmen, und wenn du willst, kannst du an meiner Seite
weilen, bis zum Tagesanbruch und darüber hinaus. Wir haben unseren
Engelsstern in uns drinnen und wir brauchen keinen großen Kristall der
uns zueienander führt. Wir tragen ihn in unseren Herzen. Aber diese zwei
kleinen Kristalle, die ich hier in Händen halte sollen uns miteinander
verbinden. Nimm ihn in deine Hand, fühle, und wenn du ganz fest an mich
denkst, wird mein Kristall es mir sagen, er verstärkt deine Gedanken und
wenn ich DEINE Hilfe brauche, werde ich meinen Kristall nehmen und dich
herbei rufen und wir werden uns wiederfinden, hier an dieser Quelle. Leb
wohl, ich muss zurück, bleib noch ein Weilchen, schau über das Meer und
lass den ersten Sonnenstrahl auf den Kristall scheinen, damit er aus
seinem Schlaf erwacht.“ Und ehe Jan sich versah, war Racine in der
Quelle verschwunden, in ihrem neuen Reich am Meeresgrund. Jan sah aufs
Meer, er sah ein Leuchten am Strand, da wo die Wellen das Ufer berühren.
Oh gott die Glühwürmchen sind ins Wasser gefallen!“ So schnell erkonnte
rannte er zum Wassr um zu helfen „Reingelegt!“, kicherten die
Glühwürmchen, die auf einmal alle um ihn herum schwirrten. „Wie, was,
wieso?“ Jan drehte sich im Kreis „Ich verstehe nicht“ „Das da“, sagte
das vorlaute Glühwürmchen „sind unsere Freunde aus der Meereswelt, wenn
du genau hinsiehst: es sind Glühfische. Sie zeigen den Menschen am
Strand, wo das Meer beginnt und den Menschen auf See, wo das rettende
Ufer verläuft. Alles hat seinen Sinn und wenn die Sonne aufgeht haben
wir alle unsere Aufgabe erfüllt.“ „Wo seid ihr?“ „Unterbrich mich
nicht!...und werden unsichtbar bis zur nächsten Nacht, ja sogar für
dich, aber du weißt, dass wir immer für euch Menschen da sind, wenn ihr
uns braucht, auch wenn ihr uns nicht sehen könnt. Vertraut einfach
darauf...und nun lauf!“
Aber Jan erinnerte
sich an den Kristall setzte sich in den Sand und blinzelte in die ersten
Sonnenstrahlen. Der Kristall erstrahlte zu neuem Leben und seine ersten
Strahlen schienen den unsichtbaren Glühwürmchen den Heimweg zu leuchten.
Ein Gefühl der Dankbarkeit durchflutete Jan als er an Racine dachte, er
küsste den Kristall leicht auf die Nase „Danke, mein Freund, und nun
komm mit, es ist Schlafenszeit!“
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